Von der „Fern-Einsamung"
Wenn Sie diese Mail jetzt sehen, sind Sie „online“. Manche Menschen sind es sogar 24 Stunden, jeden Tag. Sie haben das Handy immer neben sich, auch auf dem Nachttisch. Da gibt es zum einen kritische Stimmen, die auf die Gefahren von Hochfrequenzstrahlen hinweisen und zum anderen die notorischen Bestätigungen der Industrie, dass das alles ungefährlich sei. Wem darf ich glauben?
Corona, manchen können das Wort schon gar nicht mehr hören, zwingt nun viele vor den Bildschirm, nicht nur Lehrer und Schüler. Was macht das mit uns? Ist Homeoffice die Zukunft?
Für die Neuauflage unseres 2006 erstmals erschienenen Longsellers „Spirituell Führen“ haben Pater Anselm und ich zwei Kapitel über „Führen auf Distanz“ und „Digitalisierung“ neu geschrieben. Daraus ein paar Impulse:
„Schön, dich wieder zu sehen“ ist via skype, zoom, … häufig, schnell und kostenlos möglich. Gegenüber dem Telefon werden zwei Sinnesorgane, Auge und Ohr beteiligt. Das wird von vielen als Bereicherung erlebt, da wir von Kindheit an gewöhnt sind, akustische Signale gemeinsam mit optischen Eindrücken zu verarbeiten. Der Blickkontakt ist ein entscheidender Teil einer angenehmen Kommunikation.
Aber! Wenn ich in einem Meeting fünf oder mehr Gesprächspartner habe, sehe ich nicht, wer mich gerade anblickt. „Angesehen sein“ hat eine wichtige und tiefe Wirkung. Es gehen „online“ ganz wesentliche Teile der natürlichen Kommunikation verloren. Wir sehen nur einen Ausschnitt, oft nur das Gesicht, damit entfallen viele wichtige Körpersignale, die der emotionalen Orientierung dienen, auch wenn die meisten Signale nur im Unterbewusstsein landen, dort aber sehr wohl verarbeitet werden. Auch beiläufige Ereignisse, die Dinge am Tisch, ein kurzer Blickwechsel, u.v.m fehlen. Das ist insgesamt eine gravierende Verarmung der Kommunikation gegenüber der persönlichen Begegnung.
Fakt ist, Online-Kommunikation funktioniert und wird schon ziemlich lange genutzt, nun auch vermehrt von jenen, die sich bisher dagegen gesträubt haben. Wenn es schnell und einfach geht „sich öfter zu sehen“, dann ist Schwelle niedrig, schnell mal ein Meeting einzuberufen und die Häufigkeit und die damit verbundene zeitliche Belastung wächst. Wir haben das mit den Emails erlebt. Schnell mal ein Mail zu schicken, manche schicken das gleich an viele Empfänger, ist viel einfacher, als einen Brief zu schreiben. Und es kostet nichts. Nun werden wir alle von Mails überschwemmt. Diese Tendenz ist nun auch bei Online-Meetings und Webinaren zu sehen. Das Homeoffice, manche wollen es sogar gesetzlich vorschreiben, erleben viele als „Fern-Einsamung“, als Alleinsein ohne menschliche Nähe. Die Folgen sozialer Isolation sind schon lange bekannt. Psychosomatische Kliniken erfreuen sich seit dem Lockdown einer steigenden Nachfrage. Das Homeoffice verändert massiv das Beziehungsgefüge in den Unternehmen. Wenn Mitarbeiter nicht mehr „in die Firma“ fahren, sinkt das Verbundenheitsgefühl. Wenn ich jeden Tag zu Hause vor dem Bildschirm sitze, ist es zunehmend egal, für wen ich arbeite, wenn die Aufgabe interessant ist und das Gehalt stimmt. Der Führung entgleiten die Kontrollmöglichkeiten – harte Zeiten für Kontrollfreaks. Gewinner sind Unternehmen und Bereiche mit einer hohen Vertrauenskultur.
Die technisch induzierte, räumliche Distanz zwischen Geführten und Führer bei der Online-Kommunikation gibt den Geführten neue Freiheiten. Der Chef ist weit weg.
Aber! Nun müssen die Mitarbeiter sich selbst führen, es steht niemand mehr hinter ihnen. Situationen und Herausforderungen müssen sie mit den eigenen methodischen und sozialen Fähigkeiten meistern. Für die Zusammenarbeit werden persönliche Qualitäten wie durchdachte Wertvorstellungen und eine selbstbestimmte Bindung an Werte wesentlich, aus denen Vertrauen und Verlässlichkeit erwachsen. Wo lernen das die Mitarbeiter?
Menschen sind soziale Wesen, die in ihrem Denken, Handeln und Fühlen aufeinander bezogen sind. Sie brauchen neben der Arbeitsorganisation eine Beziehungskultur, die die Beziehung zu sich selbst und zu anderen nährend und unterstützend gestaltet. Vor allem junge Menschen verstehen Unternehmen zunehmend als Potentialgemeinschaften, in der sie ihre Fähigkeiten entfalten wollen. Gute Führung beinhaltet zunehmend einen erweiterten Blick auf soziale und psychische Faktoren, bei denen ein wertschätzendes Miteinander Im Mittelpunkt steht.
Mit vielen Grüßen und bleiben Sie gesund
Ihr Friedrich Assländer
Praxis-Tipps
Wie kann ich in der Online-Welt gut für mich selbst sorgen?
Ich schalte nachts meinen WLAN-Router und meine Telefonanlage (beides mit nachgewiesener Hochfrequenzstrahlung)aus. Ich fühle mich damit wohl. Das ist für mich entscheidend und wichtiger als irgendein „Beweis“.
Medienabstinenz ist ein generelles Muss. Ich lasse mich nicht ständig von irgendwelchen, z.T. bewusst gesteuerten Informationen berieseln und beeinflussen, auch nicht von Mails und WhatsApp …. Alles zu seiner Zeit.
Nachrichten lesen, statt Filmchen gucken, aktiviert das eigene, kritische Denken. Meinen Fernseher habe ich vor 20 Jahren abgeschafft.
Ich arbeite mit 3 Bildschirmen, um meinen Kopf laufend bewegen zu müssen, und ab und zu lasse ich meinen Blick einfach durchs Zimmer und durchs Fenster schweifen.
Ein guter Ausgleich für die Zeit vor dem Bildschirm ist aktives Tun wie Spazieren, Meditieren, Musizieren, Lesen, Kochen, Qi Gong. Ich verbringe gezielt mehr Zeit hinter als vor dem Bildschirm.
Wie geht Führen in der Online-Arbeitswelt?
Wir brauchen ein klares Bewusstsein von Führen als einer eigenständigen Aufgabe. Sie sieht eine gute Beziehungsgestaltung zwischen den Menschen als Voraussetzung, um gute Ergebnisse zu erzielen.
Einstellung, Haltung und Bewusstsein werden wichtiger als Wissen und das Beherrschen von Führungsinstrumenten. Entscheidend ist der geistige Wandel, der auf Werte gerichtet ist wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Mitbestimmung, Respekt und Sinnstiftung.
Führungskompetenz erfordert selbstbezogene Fähigkeiten,wie Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen. Führungskräfte müssen Projektionen erkennen und aufzulösen, Empathie zeigen, Schwingungen wahrnehmen, Zuhören und das eigene Erleben steuern.
Derartige Führungsqualitäten kommen aus Selbsterfahrungsprozessen, in denen wir unsere seelischen Reaktionsmustern kennenlernen und diese nicht mehr abwehren müssen. In Systemaufstellungen, insbesondere in einer längeren Ausbildung zum Systemaufsteller, werden solche Prozesse durchlaufen.
Unternehmen und Teams erhöhen ihre Wirksamkeit, wenn sie sich als Potentialgemeinschaft verstehen. Andere werden nicht als Objekte gesehen, die man bewertet, oder als Ziel von Maßnahmen, sondern als Subjekte mit Gefühlen, Sehnsüchten und Ängsten. Der andere darf und soll eigene Ideen entwickeln und einbringen und seine Talente und Begabungen entfalten. Dafür ist eine Beziehungskultur erforderlich mit Einladung, Inspiration und Ermutigung.
Führung erfordert, wenn die Zeit miteinander knapp bemessen und technisch verfremdet ist, eine qualifizierte Gesprächsführung. Es gilt in Gesprächen rasch zum Wesentlichen zu kommen. Dazu gehören gute Gesprächsformen und Gesprächstechniken, wie eine gute Fragetechnik und häufiges und qualifiziertes Feedback.
Inhalt und Akzeptanz von Führung verschieben sich von der Fach- und Methodenkompetenz in Richtung sozialer und spirituell- geistiger Kompetenz,mit Antworten auf die Fragen nach der Essenz und dem Sinn unseres Tuns.
Die alten Vorstellungen von Arbeit, von Hierarchie, auch von Kontrolle werden ersetzt durch Regelwerke und flexible, dynamische Organisationsformen, in denen Mitgestaltung des Unternehmens, selbständiges Arbeiten, Gemeinschaftserfahrung und persönliche Freiräume möglich sind.
Dazu ist mir für Sie eingefallen
Die Menschen werden dir vertrauen,
wenn sie bei dir auf Werte schauen.
Für Sie geschrieben
"Spirituell führen – eine aktuelle Antwort" von Anselm Grün und Friedrich Assländer, Vier Türme Verlag
Die erweiterte Neuauflage unseres Longsellers erscheint am 15. März 2021 mit neuen Kapiteln zu den Themen Führen aus Distanz, Digitalisierung, Führen von jungen Menschen. Das in sechs Sprachen übersetzte Buch (1. Auflage) beinhaltet alles, was zu einer guten, zeitgemäßen Führung gehört mit vielen Tipps und praktischen Übungen.
Aktuelle Termine
Curriculum „Gut geführt“
Sie können alle Seminare auch als Einzelkurs buchen. Das sechsteilige Curriculum kann mit jedem Seminar begonnen werden.
Curriculum "Gut aufgestellt" – Systemaufstellungen
Die Ausbildung zum:r Zertifizierten Systemaufsteller:in kann mit jedem Kurs begonnen werden. Jeder Kurs kann auch einzeln gebucht werden. Jeweils am Freitag oder Samstag ist es möglich, als Tagesteilnehmer ein berufliches oder privates Anliegen aufzustellen.
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